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Von Socken und Seifen (2012 – 2016)

In der Werkgruppe von Socken und Seifen wende ich mich banalen Dingen zu, die zu unserem alltäglichen Umfeld gehören und denen in der Regel wenig Beachtung geschenkt wird. Briefumschläge, Schokoladenverpackungen, Kassenzettel, Brotkrumen, Socken, Seifen und andere Objekte bilden die Vorlagen für die kleinformatigen Bilder.

Es stellt sich grundsätzlich die Frage, ob diese Dinge als malwürdig betrachtet werden können und was übrig bleibt, wenn sich bedeutungsvollen Konzepten, großen Themen und hohen Erwartungen verweigert wird. Es entstehen Bilder, die allein mit Mitteln der Malerei und unter Vermeidung vordergründiger Effekte die Dinge in ihrer sinnlichen Gegenständlichkeit und plastischen Präsenz evozieren. 

Indem ich profanes aus großer, ja beinahe intimer Nähe wahrnehme und ins Zentrum meiner Arbeit rücke, transforme ich Aufmerksamkeit, Zeit und Farbe in die schlichte Schönheit einer karg wie kostbar schimmernden Malerei.

Saarländische Galerie – Europäisches Kunstforum, Berlin
30.04. – 05.06.2016
Ausstellungsansichten

Andreas Bee – Allernächste Dinge

„Man trifft, wenn man sich umsieht, immer auf Menschen, welche ihr Leben lang Eier gegessen haben, ohne zu bemerken, daß die länglichen die wohlschmeckendsten sind, welche nicht wissen, daß ein Gewitter dem Unterleib förderlich ist, daß Wohlgerüche in kalter klarer Luft am stärksten riechen, daß unser Geschmackssinn an verschiedenen Stellen des Mundes ungleich ist, daß jede Mahlzeit, bei der man gut spricht oder gut hört, dem Magen Nachteil bringt. Man mag mit diesen Beispielen für den Mangel an Beobachtungssinn nicht zufrieden sein, um so mehr möge man zugestehen, daß die allernächsten Dinge von den meisten sehr schlecht gesehen, sehr selten beachtet werden.“

Wenn wir auf Sätze wie diese stoßen, zustimmend bei ihnen verweilen und sie uns schließlich aneignen, geschieht das wohl, weil wir vom ersten Moment an das Gefühl haben, sie seien eigentlich nur deshalb aufgeschrieben worden, damit wir sie lesen. Nicht selten glauben wir sogar im Urheber jener Gedanken einen Freund, einen Verbündeten oder einen Weggefährten erkennen zu können. Ja, manch ein Leser befindet sich auf einer beständigen Suche nach solchen Sätzen, ist geradezu darauf erpicht, sich von einer vertraut erscheinenden Erfahrung eines anderen stimulieren zu lassen, von einer Erkenntnis, von der er annimmt, dass auch er sie schon einmal gemacht hat oder wenigsten hätte machen können.

Es sind ganz ähnliche Gründe, warum manche von uns auf Bilder zugehen, sich mit Bildern umgeben, sie anschauen und diese dann, wie gute Sätze, oft lange, vielleicht sogar ein Leben lang mit sich tragen. Möglicherweise begeben wir uns nur deshalb immer wieder in Gesellschaft von Bildern, weil wir einmal intensiv erleben durften, dass Bilder etwas ganz Besonderes erfahrbar machen, etwas, dass uns ohne sie nicht zugänglich wäre. Das aber, was wir in der Begegnung mit Bildern erlebt haben, macht Lust auf mehr und deshalb suchen wir Augenmenschen in der täglichen Bilderflut immer weiter nach diesen seltenen, unsere Weltvorstellung erweiternden Bildern, so wie andere ständig nach guten Sätzen auf der Lauer liegen. Wir wollen Bilder, bei denen wir spüren, dass sie für uns gemacht wurden, Bilder, für die wir besser geeignet erscheinen, als die meisten anderen Zeitgenossen, für die wir prädestiniert sind, die wir unmittelbar verstehen, begreifen und uns ganz und gar anverwandeln können. Wir suchen nach unvordenklichen Arbeiten, nach Werken, von denen wir zwar noch nicht wissen, wie sie beschaffen sind, von denen wir aber glauben, dass sie bereits existieren und irgendwo auf uns warten.

Treffen wir auf solche Bilder, dann müssen sie zunächst in einem Akt der Betrachtung belebt werden. Dass sie da sind, genügt noch nicht. Von der Qualität der Erweckung hängt schließlich alles ab. Erst durch die Leistung eines schöpferischen Betrachters kann das Bild zu einer Passage in eine andere Welt werden und der Austausch von Erfahrungen zwischen dem Bekannten und Unbekannten gelingen.

Bei Gabriele Langendorf besteht die Magie ihrer Bilder darin, dass sie einfache Dinge in Malerei überträgt und erfahrbar macht. Indem sie sich ausgiebig den Dingen widmet, sie intensiv betrachtet, werden sie komplex und wandeln sich in etwas faszinierend Fremdes. So kommt eine andere als die oberflächliche Seite ihres Seins zur Geltung. Es ist also der obsessive Blick der Künstlerin, der das Objekt transformiert. Durch ihn verändert sich nicht nur das Objekt, sondern gleichzeitig auch derjenige, der es betrachtet.

Das alles geschieht eher beiläufig. Wer wie Gabriele Langendorf seit Jahrzehnten zu malen gewohnt ist, der malt auch ohne Absicht, vielleicht sogar ohne Gedanken. Malen ist dann wie leben, auch wenn es uns vielleicht zunächst erschrecken mag, dass das eine wie das andere auf diese Weise gelingt und sinnvoll ist und dass man auf die eine oder andere Art Distanzen überbrücken und Gemeinschaften bilden kann. Entscheidend ist nur, ob wir durch unser Handeln den anderen erreichen. Gelingt uns dies, dann ist schon viel gewonnen. Nicht selten wird ein Kontakt als besonders intensiv empfunden, wenn wir uns über eine fehlende Erfahrung, über einen Mangel austauschen können. Über den verkümmerten Beobachtungssinn der Zeitgenossen etwa oder darüber, dass viele unter uns die allernächsten Dinge nicht wirklich wahrzunehmen willens oder in der Lage sind.

Wie schön, beeindruckend und betrachtenswert die banalsten Dinge sein können, vermitteln die kleinformatigen Bilder von Gabriele Langendorf. Indem sich die Künstlerin alltäglichen Dingen zuwendet, bekommen sie eine Chance, mit gebührender Aufmerksamkeit betrachtet zu werden. Es geht ihr nicht darum, die Welt zu spiegeln. Durch die malerische Verfremdung zeigt sich zum Beispiel die Schönheit einer Schokolade in silbrig glänzendem Stanniolpapier, überträgt sich die beruhigende Akkuratesse eines gewöhnlichen Kassenzettel oder wird anhand von ungeduldig aufgerissenen Briefumschlägen die Neugier gegenüber den zugesandten Mitteilungen nachspürbar. Doch die Dinge müssen nicht unbedingt eine Geschichte andeuten, sie genügen sich in der Regel selbst. Ein Seifenstück, ein paar Eier, eine tote Maus, eine Pillenverpackung mit drei orangefarbenen Pillen, der an einem Nagel hängende Gummiring eines Einmachglases, ein gefaltetes weißes Tuch, ein wattierter Briefumschlag mit Küchenmesser oder ein Küchenschwamm mit Ehering sind für sich gesehen interessant genug, um ausgiebig beachtet zu werden.

Für Nietzsche stand außer Frage, dass die Geringschätzung der allernächsten Dinge folgenschwer sein würde. Er war der Meinung, es lassen sich aus dem Mangel an Aufmerksamkeit „fast alle leiblichen und seelischen Gebrechen der einzelnen ableiten: nicht zu wissen, was uns förderlich, was uns schädlich ist, in der Einrichtung der Lebensweise, Verteilung des Tages, Zeit und Auswahl des Verkehres, in Beruf und Muße, Befehlen und Gehorchen, Natur- und Kunstempfinden, Essen, Schlafen und Nachdenken; im Kleinsten und Alltäglichsten unwissend zu sein und keine scharfen Augen zu haben – das ist es, was die Erde für viele zu einer „Wiese des Unheils“ macht. Man sage nicht, es liege hier wie überall an der menschlichen Unvernunft: vielmehr – Vernunft genug und übergenug ist da, aber sie wird falsch gerichtet und künstlich von jenen kleinen und allernächsten Dingen abgelenkt.“ 1

Mit ihren Bildern widmet sich Gabriele Langendorf nicht nur den allernächsten Dingen, sie bringt darüberhinaus auch eine große Gelassenheit gegenüber ihrer Profession und ihrem Anspruch als Malerin zum Ausdruck. Eben weil die Serie der neuen Bilder nicht an der äußersten Grenze der virtuosen Möglichkeiten der Künstlerin angesiedelt ist, hinterlassen die Arbeiten beim Betrachter einen wohltuend entspannten Eindruck. Sie strahlen – wie alle guten Dinge – etwas Lässiges aus.

Andreas Bee

1 Friedrich Nietzsche, Werke in drei Bänden, Hg. Karl Schlechta, München 1981, Bd. I. 874 (6) Die irdische Gebrechlichkeit und ihre Hauptursache

Andreas Bee – Intimate Things

“If one looks around, one will always come across people who have spent their life eating eggs without noticing that the elongated ones taste best; or that a thunder-storm stimulates the abdomen; that good smells smell stronger in cold, clear air; that our sense of taste differs depending on the area of our mouth; or that if we have enjoyed talking and listening at a meal the food will not be so well digested. These examples highlight a lack of general observation which may be unsatisfactory, although we all know that intimate things are often overlooked and seldom considered.”

When we come across such passages and linger over them in acquiescence only to absorb them as our own, we do so because from the very first moment, we have the feeling that they were written especially for us to read. We often believe ourselves able to recognize the author behind thoughts as a friend, an ally or a companion. Yes, some readers are continually on the lookout for such passages, being inclined to be inspired by experiences that seem familiar or insights that they assume that they have (or at least could have) had.

For similar reasons some of us are attracted to, surround ourselves with, and look at pictures, and as with good literary passages, we end up carrying them around with us for a long time – sometimes even a lifetime. Possibly, we continually seek the companionship of pictures because, from our own experience, we are aware that pictures hold the key to another, more intense world. The more pictures we visual people encounter, the more we want to see. Just as others are always on the lookout for good literary passages, we continually scan the daily flood of images, looking for those rare pictures that will widen our horizon. We want pictures that we feel have been made for us, pictures that seem better suited to us than to any other of our contemporaries, that are predestined for us, that we instinctively understand, comprehend – pictures capable of transforming us. We are searching for works that no-one could have imagined, for pictures that have as yet no form but in whose existence we believe and are somewhere, out there, waiting for us.

When we come across such pictures they must first be brought to life through the act of looking. That they are there is not enough. Everything hangs on the quality of the awakening. It is only through the efforts of a creative beholder that a picture can become a passage into another world and experiences can be swapped between the known and the unknown.

The magic in Gabriele Langedorf’s pictures lies in her ability to make us acquainted with simple things. Through her commitment to them, the objects, which have been intensely observed, become complex and are transformed into fascinatingly strange things. Something other than their superficial being comes to the fore. It is the obsessive gaze of the artist that transforms the objects. Yet it is not only the object that undergoes this change, but likewise the viewer.

It all seems to happen incidentally. If, like Gabriele Langendorf, one has been painting for decades, one paints without intention and perhaps even without thinking. Painting has then become like living. That painting as well as living can exist in this way and still have meaning, may at first seem surprising; that they can, in one form or another, bridge distances and develop affinities. It is our actions that decide whether we are able to connect, but if we manage, then it is our gain. It is not uncommon that a friendship is felt to be especially intense when built on an exchange of shared misadventures or disappointments. It is difficult to tell whether this results from the troubled outlook of one’s contemporaries or that many of us cannot or will not recognize those things which are closest to them.

Gabriele Langendorf’s small paintings impress upon us how beautiful, impressive and worth studying banal objects can be. In choosing simple, everyday things, she gives them a chance to be viewed with a demanding attentiveness. She is not interested in mirroring the world. Using painting to estrange, she shows us the beauty of chocolate in a shiny, silver wrapper. She manages to carry over the soothing accuracy of an everyday shopping receipt or in painting torn- open envelopes, she conveys the feeling of impatience to know the contents within. The objects do not, however, have to tell a story. They are often enough on their own. A piece of soap, some eggs, a dead mouse, a medicine packet containing three orange-coloured pills, the rubber ring of a preserving glass hanging on a nail, a folded white cloth, a padded envelope with kitchen knife or a washing-up sponge with a wedding ring, are all found worthy enough to be studied intensely by Langendorf.

Nietzsche believed indisputably that should one take ordinary objects for granted there would be consequences to pay. He was of the view „that from this defect are derived nearly all the bodily and spiritual infirmities of the individual. Ignorance of what is good and bad for us, in the arrangement of our mode of life, the division of our day, the selection of our friends and the time we devote to them, in business and leisure, commanding and obeying, our feeling for nature and for art, our eating, sleeping, and meditation; ignorance and lack of keen perceptions in the smallest and most ordinary details this it is that makes the world „a vale of tears“ for so many. Let us not say that here as everywhere the fault lies with human unreason. Of reason there is enough and to spare, but it is wrongly directed and artificially diverted from these little intimate things.“ 1

In her paintings, Gabriele Langendorf not only devotes herself to ordinary objects, but also manages to convey a certain laid-back attitude to her professorship and to the demands on a painter. The very fact that this series of new paintings does not test the outer limits of her painterly virtuosity, leaves the viewer with a benevolent, relaxed impression. They radiate – as with all good things-a certain laissez-faire.

Andeas Bee

Translation: Charlotte Hartmann

1 Friedrich Nietzsche, Human, All too Human, Part II, The Wanderer and his Shadow, (6) Earthly Infirmities and their Main Cause. Trans. Paul V. Cohen London, 1934